Beschluss zum Jobturbo
Beschluss des Landesbeirats für Partizipation vom 08.07.2024
Der Landesbeirat für Partizipation hat beschlossen:
Der Job-Turbo muss fair und nachhaltig sein:
„Ja“ zum Bürokratieabbau, „Nein“ zur Verschwendung von Potential
Der Landesbeirat für Partizipation kritisiert, dass der Job-Turbo zu wenige Förderinstrumente und Anreize setzt: Es gilt nicht nur zu fordern, sondern eben auch zu fördern. Die Mitglieder des Berliner Senats werden daher gebeten, folgende Punkte bei der Umsetzung des Job-Turbos zu berücksichtigen, damit der Job-Turbo nachhaltig und teilhabegerecht wirkt:
1. qualifikationsadäquate Beschäftigung,
2. kostenlose Berufsdeutschkurse in den Betrieben - bezahlte Freistellung im Rahmen der Arbeitszeit,
3. ausreichend Kinderbetreuung, damit Arbeit, Deutscherwerb und Weiterqualifizierung auch für häufig alleinerziehende Mütter möglich sind,
4. beschleunigte Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse und eine enge Begleitung der Anerkennungsprozesse durch Fallmanager*innen der Jobcenter oder der Agentur für Arbeit auch nach einer Vermittlung in eine niedrigqualifizierte Arbeit,
5. Ausbau der Beratung im Rahmen von BBiE (Beruflicher Beratung im Erwerbsleben), automatische Übernahme in das Programm nach Vermittlung in Arbeit unterhalb des beruflichen Qualifizierungsniveaus,
6. Anreize durch sichere Bleibeperspektiven: der Aufenthaltsstatus muss für Beschäftigte schnell in einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Beschäftigung
umgewandelt werden. Das schafft Sicherheit sowohl für Arbeitnehmer*innen als auch für Arbeitgeber*innen.
7. Der Zugang zu höheren Sprachqualifikationen (z.B. B2-Sprachkurse) und Ausbildung sollte weiterhin möglich sein.
Begründung
Der Landesbeirat für Partizipation kritisiert, dass der Job-Turbo zu wenige Förderinstrumente und Anreize setzt: Es gilt nicht nur zu fordern, sondern eben auch zu fördern. Der vom Job-Turbo verfolgte Ansatz, geflüchtete Menschen schneller und effektiver auf den Arbeitsmarkt zu bringen, wird begrüßt. Bürokratieabbau ist hierbei ein wichtiger Schritt. Allerdings darf die „Turbo“-Geschwindigkeit nicht auf Kosten der qualifikationsadäquaten Beschäftigung oder gar der Gesundheit der Betroffenen gehen. Geflüchtete Menschen bringen oft Qualifikationen aus ihren Herkunftsländern sowie eine hohe Motivation, schnell eine Beschäftigung aufzunehmen mit - das zeigt die Erfahrung aus der Migrationsberatung. Es ist im Interesse aller Beteiligten, dieses Potential zu fördern. Aktuell besteht hier weiterhin Verbesserungsbedarf: Im europäischen Vergleich ist Deutschland z.B. Schlusslicht bei der Integration ukrainischer Kriegsgeflüchteter. Während hier gerade 18 Prozent eine Arbeit gefunden haben, sind es in Ländern wie Polen, der Tschechischen Republik, aber auch Dänemark zwei Drittel und mehr. Darüber hinaus werden oft pauschal und mit Druck Angebote im Niedriglohnsektor gemacht, ohne Bezug auf die Qualifikationen. Es ist auch zu betonen, dass traumatisierte Kriegsgeflüchtete Anspruch auf psychologische Betreuung und ein menschenwürdiges Ankommen in Deutschland haben und nicht nur als Arbeitskräfte gesehen werden bzw. vorschnell in Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden sollten. Berichten zu Folge greift das vor vier Monaten gestartete Programm des Job-Turbos nicht wie erhofft. Die sechs genannten Punkte in Verbindung mit entsprechenden Schulungen der umsetzenden Behörden sowie eine Selbstverpflichtung auf Seiten der Wirtschaft - vor allem bei der berufsrelevanten Sprachförderung - können schnell Erfolge bringen. Auch sollten migrantische Akteure strukturell in die Umsetzung einbezogen werden. Sie haben den direkten Zugang zu den Communities und sind oft der erste Ansprechpartner vor Ort. Es braucht gezielte Beratungsangebote zum Instrument des Job-Turbos bei den Migrantenorganisationen. Der Versuch geflüchtete Menschen bei dem Eintritt in den Arbeitsmarkt eng zu begleiten, ist zu begrüßen. Aber diese Maßnahmen werden kurzfristig Geld kosten. Eine engere und intensivere Begleitung bei der Suche nach (qualifizierter) Arbeit bedeutet, dass die Fallmanager*innen der Jobcenter mit weniger Kund*innen arbeiten müssen. Die Beratungsfrequenz muss sich erhöhen. Auch die weitere Begleitung der geflüchteten Menschen nach Aufnahme einer Arbeit und Qualifizierungsniveau bedeutet einen Ausbau bestehender Instrumente wie BBiE. Diese kurzfristigen Investitionen werden:
• sich langfristig lohnen und amortisieren,
• ein Vorbild sein für die Arbeit mit den anderen Zielgruppen der Jobcenter.
Das Modellvorhaben des Job-Turbos muss evaluiert und bei Erfolg auch auf alle arbeitsuchenden Kunden der Jobcenter ausgedehnt werden.
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