Beschluss zur Beschulung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen
Beschluss des Landesbeirats für Partizipation vom 15.04.2024
Der Landesbeirat für Partizipation hat beschlossen:
Das Recht auf gleiche Bildungschancen ist nicht verhandelbar!
- Für das Recht auf Bildung. Für das Recht auf eine Schule für alle. Überall. -
Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie sowie die Mitglieder des Berliner Senats werden aufgefordert,
1. zu verhindern, dass eine Sonderbeschulung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in LAF-Unterkünften stattfindet,
2. zu gewährleisten, dass stattdessen alle Kinder und Jugendliche in Berlin Zugang zu gleichen Bildungschancen haben und in Willkommensklassen an Regelschulen oder in Regelklassen beschult werden.
Umfasst sind alle Kinder und Jugendlichen, die in Berlin wohnhaft sind.
Begründung
Partizipation beginnt beim gleichen Recht auf Bildung für geflüchtete Kinder und auf globalen Menschenrechten beruhendem Recht auf gleiche Bildungschancen für alle. Dieses Recht ist unverhandelbar und muss von der Senatsverwaltung als oberstes Gut und politisches Prinzip behandelt werden. Daher ist dieses Recht auf Berliner Ebene auch im Gesamtkonzept zur Partizipation und Integration Geflüchteter und im Schulgesetz festgehalten. Über die Berliner Ebene hinausgehend steht es auch in Artikel 28 und 29 der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK), die in Deutschland geltendes Recht ist. Die UN-KRK hält ebenso ein Diskriminierungsverbot in Artikel 2 fest und betont in Artikel 22, dass der Vertragsstaat einem geflüchteten Kind die Wahrnehmung seiner Rechte ermöglichen muss.
Deshalb beobachtet der Landesbeirat für Partizipation die aktuellen bildungspolitischen Maßnahmen und Pläne der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie für geflüchtete Kinder und Jugendliche sehr kritisch und lehnt ihre Pläne einer flächendeckenden Sonderbeschulung in temporär angelegten Erstaufnahmeeinrichtungen wie in Tegel ohne kindergerechte Tagesstruktur und darüber hinausgehend auch und vor allem in allen regulären Aufnahmeeinrichtungen und/oder Geflüchtetenunterkünften kategorisch ab! Kindern dürfen nur in einer Schule unterrichtet werden, und das ist die Regelschule für Alle!
„Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, wie geflüchtete Kinder und Jugendliche in den Willkommensklassen separat unterrichtet wurden. Der nachrangige Zugang zum regulären Schulalltag hatte zur Folge, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche Probleme hatten, anzukommen. Umso erschreckender ist es, dass statt eines verbesserten Zugangs zum Schulsystem darüber nachgedacht wird, sie komplett auszuschließen. Das ist diskriminierend und unzumutbar. Geflüchtete Kinder und Jugendliche haben das Recht auf Teilhabe am regulären Schulalltag, an unserer Gesellschaft und vor allem auf diskriminierungsfreie Behandlung. Zudem wird der Bildungserfolg der Kinder riskiert und die Gefahr besteht, von lebenslangen Chancenungleichheiten betroffen zu sein,“ sagtManal Sode, Mitglied des Landesbeirats für Partizipation aus der AG Bildung.
"Der Problematik der Mangelbeschulung kann nicht mit weiterer Abschottung im Bildungsbereich für Kinder und Jugendliche und der Ausweitung der Isolation von Geflüchteten begegnet werden. Es ist unerträglich zu hören, wenn schlechtere Unterrichtsqualität mit der zusätzlichen Beschulung von geflüchteten Kindern in Verbindung gebracht wird. Die strukturellen und personellen Probleme von Schulen müssen endlich ernst genommen und angegangen werden, um Kinder vor solcher Diskriminierung zu schützen.“ ergänzt Alina Lange, ebenfalls aus der AG Bildung.
Sonderschulen sind Ausdruck einer institutionellen Segregation, Isolation und Abgrenzung von der Gesellschaft. Wir wissen aus wissenschaftlichen Forschungen, dass die Gefahr einer fortdauernden Segregation mit solchen ‚Parallelstrukturen‘ institutionell angelegt ist und die Gefahr der Verstetigung der schlecht qualifizierten ‚Sonderbeschulung‘ größer ist als eine effektive Bildungsvorbereitung.
Die Bildungsverwaltung muss prioritär den Rechtsanspruch von allen (!) Kindern in Berlin auf Zugang zu gleichen Bildungschancen in Regelklassen strategisch verfolgen und Maßnahmen entwickeln, die der Mangelbeschulung entgegenwirken. Die Sonderbeschulung separiert geflüchtete von nicht-geflüchteten Kindern. Wir verlieren auf dem aktuellen Weg Chancen für die Entwicklung einer partizipativen Gesellschaft!
Auch in den 1960er Jahren wurde für Kinder von sogenannten ‚Gastarbeitern‘ in der alten Bundesrepublik auf das Modell der ‚Sonderbeschulung‘ in sogenannten ‚Ausländer-Regelklassen‘ zurückgegriffen. Wir wissen heute, dass die Folgen fatal waren: systematisch unterqualifizierte Bildungsangebote, verfestigte Parallelstrukturen und ein diskriminierendes Bildungssystem, das dazu geführt hat, dass einer ganzen Generation das gleiche Teilhaberecht an Bildung systematisch nicht angeboten werden konnte. Eine ähnliche Erfahrung können wir heute nicht riskieren und die Bildungsverwaltung muss mit gutem Beispiel vorangehen, hier eine politische Lösung zu bieten.
Die fehlenden Plätze für eine Regelschule sind Teil einer vielfachen Krise, für die der Senat und vor allem die Bildungsverwaltung dringend Antworten liefern muss. Das Problem ist der fehlende Zugang für geflüchtete Kinder in Regelschulen gekoppelt mit dem fehlenden Zugang für Wohnungen oder Gemeinschaftsunterkünfte. Die Schulpflicht gilt aber trotz dessen auch für geflüchtete Kinder. Rund 2.000 schulpflichtige Kinder warten aber noch auf einen Schulplatz. Die meisten dieser Kinder leben in Tegel. Die Pläne der SfBJF, auch 5 Schulen in den neu zu bauenden Containerunterkünften zu planen, zeigen hingegen, dass nicht die Diskriminierung geflüchteter Kinder bekämpft werden soll, sondern ein politischer Paradigmenwechsel auf ihrem Rücken folgen soll. Die Sonderbeschulung wird nun nicht mehr mal einzig in Tegel als Ausnahmeort debattiert, sondern tatsächlich auch für reguläre AE und GU! Dazu sagen wir klar ‚Stopp! ‘ Wir brauchen inklusive Regelschulen für alle!
Diese Problematik nicht in ihrer politischen Dimension verstanden wird und stattdessen aus dieser Notsituation die SfBJF aber nun einen politischen Paradigmenwechsel plant
Pläne der SfBJF auch 5 Schulen in den neu zu bauenden Containerunterkünften plant.Das deuten wir nicht mal an aktuell, wir sind zu fokussiert auf Tegel. Aber an diesen Plänen wird ja gerade der politische Paradigmenwechsel deutlich. Es geht nicht mehr nur um die Notsituation in Tegel als Ausnahmeort, sondern auch für reguläre AE und GU!
Das Ankunftszentrum Tegel wurde explizit als Übergangslösung konzipiert, um eine kurzzeitige Unterbringung zu organisieren. Die erschreckende Realität zeigt uns heute, dass Menschen bis zu einem Jahr und länger dort in menschenunwürdigen Zelten leben müssen. Das betrifft Kinder und Jugendliche besonders hart. Die fehlende Privatsphäre, fehlender Zugang zu ausreichenden sozial-medizinisches Diensten für Trauma-Betroffene, Gewalterfahrungen, schlechte Hygiene und die absolute Isolation von der Stadtgesellschaft und Normalität verschärfen die tatsächliche und gelebte Stigmatisierung. Die mangelhafte Wohnraumversorgung führt zu den menschenunwürdigen langen Aufenthalten in Tegel und zu einer viel gefährlicheren Situation, und zwar der allmählichen und stillschweigenden Verstetigung von Tegel und der Veränderung des temporären Ankunftszentrums hin zu einem ‚Lagerkomplex‘. Berlin muss Schlafplätze für Geflüchtete organisieren und hierbei auch auf Transiträume zurückgreifen, allerdings muss gleichzeitig eine wohnraumpolitisch reguläre Unterbringung konsequent konzipiert werden. Die Koalition darf dieses Ziel nicht aus dem Auge verlieren. Die Sonderbeschulungsmaßnahmen aus der Bildungsverwaltung signalisieren leider anderes.
Wir fordern die Bildungsverwaltung und den Berliner Senat dazu auf, geflüchteten Kinder ihr Recht auf gleiche Bildungschancen zu gewähren und dringend verwaltungsübergreifende Maßnahmen zu diskutieren, die allen Kindern unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus, gleiche Bildungschancen bieten. Vor allem sind nachhaltige Lösungen gefragt, denn eine inklusive Bildungspolitik ist die Basis für eine nachhaltig partizipative Gesellschaft.
Wir brauchen flächendeckende Maßnahmen, damit Jugendliche wieder in Regelschulen unterrichtet werden können und nicht in Containern auf dem Gelände der Unterkünfte!
Es müssen dringend Lehrkräfte gewonnen werden, damit dem Lehrermangel entgegengewirkt wird. Dafür bedarf es sowohl an Qualifikationsangeboten als auch an beschleunigten und vereinfachten Anerkennungen von Bildungsabschlüssen von Lehrer:innen aus dem Ausland unabhängig vom Herkunftsland!
Es muss dringend geklärt werden, wie der verwalterische und pädagogische Übergang in die Regelklasse stattfinden soll!
Ein gekoppeltes Angebot von Vorbereitungsklassen und Regelklassen muss geplant werden!
Der Landesbeirat spricht sich dafür aus, Schulen sowie pädagogische Fach- und Hilfskräfte stärker zu unterstützen!
Herkunftssprachlicher Unterricht und qualifizierte parallele Deutschkurse für Schüler*innen müssen ermöglicht werden!
Bezirksübergreifende ‚Runde Tische‘ müssen Verwaltungen und Schulleitungen koordinieren, die sich positiv für eine Schichtbeschulung ausgesprochen haben. Unterricht am Nachmittag ist eine kurzfristige Lösung!
Das Recht auf gleiche Bildungschancen ist nicht verhandelbar und muss im Fokus der Koalition stehen!
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